Die übliche Frage „Wie geht´s?“ ist in Serbien nicht nur eine Formalität. In der alltäglichen Kommunikation erhält man als Antwort sehr oft einen ausführlichen „Bericht“ von seinem Gesprächspartner. Heutzutage hört sich diese Antwort in Belgrad oft so an: „Ich habe das Gefühl, dass wir in der Atmosphäre der 90er Jahre des 20. Jahrhunderts leben. Es ist, als ob Slobodan Milošević wieder hier ist…“ Synonym für die Abschaffung aller Freiheiten, den Nationalismus und die Kriege im Ex-Jugoslawien der 90er Jahre – das Regime von Slobodan Milošević herrschte, wie alle autokratischen Regime, auf der Grundlage einer strengen Medienkontrolle.
Der Bericht der Europäischen Kommission über die Fortschritte Serbiens im EU-Beitrittsprozess, der gerade am 19. Oktober veröffentlicht wurde, stellt fest, dass Serbien im Jahr 2021 im Vergleich zu 2020 keine wesentlichen Fortschritte im Bereich der Medien gemacht hat. In dem Bericht über die globalen Freiheiten im Jahr 2021 bewertet Freedom House Serbien nach seinem 30-jährigen Demokratisierungsprozess als ein Land, in dem die Freiheit im Bereich der Medien, der Gesetzgebung und der Justiz nur geringfügig zunimmt. Die Arbeit der serbischen Regierung, aber auch die Arbeit der für die Wahlen zuständigen Organe, wurde als nicht ausreichend transparent und das Korruptionsniveau als sehr hoch bewertet.
Monopolisierung des Medienraums
Obwohl die serbische Verfassung die Rede- und Meinungsfreiheit garantiert, sind im heutigen Serbien unter der Herrschaft der Serbischen Fortschrittspartei und Aleksandar Vučić (ehemaliger Informationsminister unter der Regierung von Slobodan Milošević) alle Medien mit landesweiter Ausstrahlung regierungsnahe Medien, während diejenigen, die eine alternative, unabhängige Position vertreten, ihre Inhalte über Kabelkanäle und das Internet verbreiten – und damit in der serbischen Bevölkerung weit weniger Resonanz finden. Diese Polarisierung führt zu einer scharfen sozialen und politischen Spaltung in die so genannten „zwei Serbien“. Die von den staatsnahen Medien geschaffene öffentliche Meinung ist voll von falschen Informationen, Hassreden und direkter Verleumdung gegenüber Mitgliedern der Oppositionsparteien, insbesondere gegenüber Journalisten, die sich kritisch äußern. Sie werden oft als „Staatsfeinde“ bezeichnet, was die Produktivität der rechtspopulistischen Matrix, nach der die derzeitige serbische Regierung herrscht, weiter erhöht.
Die Manipulation des serbischen Medienmarktes wird durch die Kontrolle der Regulierungsbehörden durch das Regime, den intransparenten Handel mit privaten Medien und die Zuteilung von finanziellen Mitteln und Frequenzen nach dem Kriterium der Nähe zur Regierungspartei ermöglicht.
Sicherheit der Journalist:innen
In Serbien registrierte der Journalistenverband im Jahr 2020 bis zu 189 Angriffe, bei denen Journalisten 32 Mal körperlich angegriffen wurden, auch von der Polizei, während sie über Bürgerproteste gegen die Anti-COVID-Maßnahmen der Regierung berichteten.
Die Journalistin Ana Lalić verbrachte die Nacht in Polizeigewahrsam, weil sie über den objektiven Zustand der Schutzausrüstung im Krankenhaus von Novi Sad während der Pandemie im April 2020 berichtet hatte. Im Jahr 2021 wurden 91 Angriffe registriert, und gelegentlich wurden Journalisten aus Sicherheitsgründen zu Hause isoliert, was auch momentan der Fall ist. Nimmt man noch hinzu, dass 2018 das Haus und das Auto des Journalisten Milan Jovanović von einem einflussreichen Lokalpolitiker in Brand gesteckt wurden und dass die Morde an drei Journalisten zwischen 1994 und 2001 bis heute nicht aufgeklärt sind, wird die Kontinuität von Elementen des Regimes von Slobodan Milosevic noch deutlicher.
Doch trotz der äußerst ungünstigen Umstände in Serbien gibt es – zum Glück – immer noch alternative und kritische Stimmen.
Olivera Stošić Rakić
In der Fortsetzung der Kolumne können Sie lesen: “ (Internet) Räume der Freiheit – Radio in Serbien 2021″.